Bad Soden, Deutschland,
15
Februar
2017
|
08:00
Europe/Amsterdam

Mit Kälte zu Härte und Maßhaltigkeit

Stickstoffkühlung sorgt für effiziente Umwandlung von Restaustenit

Um verschleißfeste und formstabile Stahlteile zu erhalten, muss der Restaustenit im Werkstoff nach dem Härten möglichst vollständig umgewandelt werden. Dieser Schritt ist für die Stahlqualität entscheidend, etwa wenn es auf die Schnitthaltigkeit von Werkzeugstahl oder die Maßhaltigkeit feinster Konturen für Gussformen ankommt. Die Umwandlung wird meist mit langwierigem wiederholtem Erwärmen und Abkühlen erreicht. Die Tieftemperaturbehandlung bietet dazu eine zeit- und energiesparende Alternative, die zudem eine umfassendere Umwandlung des Restaustenits möglich macht.

Das Härten von Stahl ist nur möglich, wenn der Kohlenstoffanteil zunächst bei hohen Temperaturen im Austenit gelöst und das Werkstück anschließend in flüssigem Öl abgeschreckt wird. Dabei verändert sich die Kristallstruktur. Der gelöste Anteil an Kohlenstoff, die Härtetemperatur und das Abschreckmedium bestimmen die Art der Veränderung sowie die Eigenschaften des gehärteten Stahls bei Raumtemperatur. In der Praxis werden die Härteöle meistens konstant auf Temperaturen von 50 bis 70 Grad Celsius gehalten, um die Wärmebehandlung bezüglich der Härte und Formstabilität reproduzierbar zu machen. Bei diesen Temperaturen wird der Austenit während des Abschreckens jedoch nicht vollständig in Martensit umgewandelt. Bei Stählen mit einem Kohlenstoffgehalt über 0,5 Gewichtsprozent kann die Bildung von Martensit beim Abschrecken auf Raumtemperatur nicht vollständig erfolgen.

Bis zu 20 Volumenprozent kann der Anteil an Restaustenit im Stahl nach dem Härten noch betragen. Restaustenit wirkt sich aber negativ auf Maßhaltigkeit, Verschleißbeständigkeit, Härte sowie Verarbeitungsfähigkeit aus. Er ist auch unter dem Aspekt der Sicherheit unerwünscht. Sein Anteil im Stahl muss also unbedingt reduziert werden. Das Tieftemperaturverfahren ist dafür heute die Methode der Wahl, da sie reproduzierbar bessere Ergebnisse mit einem – im Vergleich zum klassischen Verfahren – deutlich verringerten Energie- und Zeitaufwand kombiniert.

Ein zusätzliches Abkühlen der gehärteten Teile auf Temperaturen von bis zu minus 150 Grad Celsius erleichtert die Umwandlung von Restaustenit in Martensit oder macht ihn für bestimmte Legierungen und Anteile überhaupt erst möglich. Die gehärteten Bauteile werden in Kältekammern definiert abgekühlt – die Temperaturen richten sich nach den jeweiligen Legierung und Anforderungen und liegen meist zwischen minus 80 und minus 120 Grad – und anschließend wieder erwärmt. Diese Prozedur sollte möglichst nach dem Härten und mehrmals erfolgen. Die Martensit-Finishtemperatur (Mf) ist dabei eine entscheidende Größe. Sie zeigt an, bei welcher Temperatur ein zu erwartender Umwandlungsgrad erreicht ist.

Kernstück des Tieftemperaturverfahrens ist das Einspritzen von flüssigem Stickstoff in den Kühlraum der Kältekammer. Dort verteilen Ventilatoren das tiefkalte Gas, damit es gleichmäßig auf das Material einwirken kann.

Der gesamte Ablauf aus Kühlen und Wiedererwärmen wird in modernen Anlagen, wie den Cryogen®-Kältekammern von Messer, vorprogrammiert und zentral geregelt, sodass alle Parameter für die Aushärtung des Stahls exakt eingehalten werden. Dazu gehören die Geschwindigkeit und die Dauer der Abkühlung, die Haltezeit einer vorgegebenen Temperatur sowie die Geschwindigkeit und Dauer des Erwärmens. Das geregelte Erwärmen hat den Vorteil, dass der gesamte Prozess in der Box ohne Luftzutritt stattfindet und eine Vereisung der Charge nicht auftreten kann. Ein weiteres Plus ist der schnelle Übergang von der Haltetemperatur zur Umgebungstemperatur, der viel Zeit spart. Stickstoff und Energie werden in modernen Kühlkammern ebenfalls sehr effizient eingesetzt: Für ein Kilogramm Material genügt weniger als ein Kilogramm Flüssigstickstoff. Mit einer vakuumisolierten Rohrleitung für die Stickstoffzuführung vom Tank bis zur Kühlanlage kann der Energiebedarf weiter gesenkt werden. Eine möglichst kurze Verrohrung ist vorteilhaft und sollte somit bei der Projektierung der Gesamtanlage berücksichtigt werden.

Qualitätsunterschied

Das Verfahren ist nicht nur besonders wirtschaftlich, es steigert auch die Qualität. Beim Vergleich der Lebensdauer von Schneidstählen zur Holzbearbeitung wird der Nutzen der Kälte messbar. Ein österreichisches Unternehmen hat Werkzeugstahl (Industriemesser zum Entfernen von Baumrinde) mit und ohne anschließende Tieftemperaturbehandlung verglichen. Die Haltetemperatur betrug hierbei minus 150 Grad Celsius. Die Tieftemperaturbehandlung reduzierte die Druckspannungen im Schneidmesser und ließ besonders feine Nadeln aus Martensit entstehen – eine Voraussetzung für eine widerstandsfähige Kristallstruktur sowie für eine erhöhte Schnitthaltigkeit. Die Lebensdauer von Werkzeugstählen, die eine Tieftemperaturbehandlung erfahren, wird ebenfalls deutlich erhöht.

Das gleiche gilt für Werkstücke, bei denen die Genauigkeit von filigranen Konturen eine entscheidende Rolle spielt. Gussformen für Joghurtbecher zum Beispiel müssen minimale Toleranzen einhalten, weil bei der Vorbereitung, Befüllung und Etikettierung der Becher schon kleine Abweichungen den Prozess stören können. Die Tieftemperaturbehandlung steigert Verschleißfestigkeit sowie Maßhaltigkeit der Formen und trägt damit zur Senkung der Gesamtkosten bei. Zudem lassen sich tieftemperaturbehandelte Stähle besser verarbeiten. 

Typische Produkte und Anwendungen

Die Vorteile der Tieftemperaturbehandlung werden für die unterschiedlichsten Werkstücke und Anwendungen genutzt. Neben den bereits genannten (Werkzeugstahl und Gussformen) gibt es weitere typische Beispiele: Um die Maßhaltigkeit zu verbessern, wird die Kältebehandlung unter anderem für einsatzgehärtete Einspritzdüsen, vakuumgehärtete Gleitlagerringe oder die Klingen in Rasierapparaten genutzt. Bei Spezial-Faltenbälgen kommt der Aspekt Sicherheit hinzu. Haltbarkeit und Sicherheit stehen etwa bei Schutzketten für Reifen von Großfahrzeugen im Vordergrund.

Charakteristische Merkmale der Martensitischen Umwandlung

Die diffusionslose und exotherme Umwandlung beginnt mit einer Keimbildung von Martensit an Gitterdefekten im Austenit (Versetzungen, Korngrenzen). Das Volumen nimmt nach der Umwandlung um drei bis vier Prozent zu. Je nach chemischer Zusammensetzung der Legierung stellt sich ein spezifischer Gehalt an Restaustenit ein. Der endgültige Umwandlungsgrad wird von dem angewendeten Kühlprofil maßgeblich bestimmt.

Einflüsse auf den Restaustenitanteil beim Vergüten

Wie viel Restaustenit im Material verbleibt, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Im Ofenraum spielen Härtetemperatur und Haltezeit sowie der Kohlenstoffpegel der Ofenatmosphäre eine Rolle. Bei der Abschreckung kommt es neben den Parametern der Werkstücke (Material, Geometrie etc.) auf den Härteöltyp, die Öltemperatur, die Abschreckgeschwindigkeit und die Ölwälzung an. Im Entnahmezyklus der Charge sind Tauchzeit, Abtropfzeit, Abschreckraumtemperatur, Lager- und Abkühlzeit von Bedeutung. Im Reinigungszyklus sind es Temperatur der Reinigerlösung, Dampf-/Sprüh-Behandlung, Trocken- und Gesamtzykluszeit. Bei der Kältebehandlung kommt es auf die Abkühlgeschwindigkeit, die Temperatur und ihre Verteilung, die Haltezeit, das Aufheizen und Anlassen an. Um reproduzierbare Qualität zu erzielen, ist eine Behandlungsvorschrift unerlässlich, die einen Arbeitsplan sowie die Kontrolle des Prozessablaufes und der Endqualität umfasst.

Sichere, schnelle Kälte in jeder Situation

Kältekammern von Messer ermöglichen eine effiziente und reproduzierbare Kältebehandlung, in der die spezifischen Kundenvorgaben exakt umgesetzt werden können. Sie zeichnen sich durch hohe Kühlleistung und Betriebssicherheit aus. So wird etwa beim Öffnen der Kammer die Zufuhr des Kühlmediums automatisch abgesperrt. Alle Kältekammern werden anschlussfertig geliefert, was die Inbetriebnahme am gewünschten Standort beschleunigt und dafür sorgt, dass alle Vorteile sofort genutzt werden können. Zudem können die Kältekammern schnell und problemlos an einem anderen Ort neu aufgestellt werden. Der Installationsaufwand ist minimal.

Die Einspeisung von Flüssigstickstoff ermöglicht einen sehr effizienten und kostengünstigen Betrieb. Sie sorgt für schnelles Erreichen der Kühltemperatur und für einen gleichmäßigen Temperaturverlauf. Zugleich ist ein sehr schneller Temperaturwechsel und eine Aufwärmung für einen raschen Chargenwechsel möglich. Eine prozessorgesteuerte Temperaturregelung erlaubt die genaue Steuerung der Abläufe. Die hochwertige Konstruktion der Kammern garantiert eine lange Lebensdauer. Sie sind auch für hohe Nutzlasten geeignet. Nicht zuletzt kann auch die Größe der Stickstoff-Tanks genau auf den jeweiligen Bedarf ausgelegt werden. Experten von Messer nehmen mit Kunden die geforderte Produktqualität auf und suchen entsprechende Lösungsansätze. Die Analyse der Prozesse und das Ermitteln des Verbesserungspotenzials sind Grundlage für die Planung und Auslegung der Kältebehandlung. Nach der Verfahrenseinführung sind die dauerhafte Betreuung und der Service ein fester Bestandteil der Zusammenarbeit.